
Können unsere Rechtsabteilungen innovativ denken und handeln?
Ein umsichtiger Blick auf innovative Buzzwords
Innovation wird schnell synonym mit Technologie gedacht, ein Umstand, den es generell zu hinterfragen gilt. Denn insbesondere technologiebasierte Innovationen und deren Implementierung fordern Fachexpertise und sind in der Regel keine Sofortlösungen zur Effizienzsteigerung. Tools wie Gartners Hype Cycle können dabei erste Anhaltspunkte sein, um innovative Anwendungen auf die individuelle Eignung für die eigene Rechtsabteilung zu prüfen.Gartners Hype Cycle ist eines der wohl bekanntesten Tools zur Bewertung von potenziell disruptiven Technologien. Er besteht aus einer rasanten Anfangsphase, in der Technologien durch ihre Neuartigkeit eine große Projektionsfläche für potenzielle Anwendungsszenarien bieten, in der Realität aber typischerweise noch ungewisse Herausforderungen mit sich bringen. Entsprechend folgt die Phase der Desillusionierung, wenn Limitierungen deutlich werden. Ein entsprechendes Bild zeichnete beispielsweise die Wahrnehmung von KI in den letzten Jahren. Nach utopischen bis dystopischen Erwartungen pendeln wir uns erst jetzt zwischen Hype und ersten erfolgreichen Applikationen ein. Idealerweise entwickeln sich diese ersten, Mehrwert versprechenden, Anwendungen weiter, bis es zum sogenannten Produktivitätsplateau kommt, die finale Phase in der Etablierung innovativer Technologien. Vorausgesetzt, sie stagnieren und verschwinden nicht bereits auf halbem Wege.
Richtig interpretiert und mit strategischer Sorgfalt behandelt, kann der Hype Cycle ein wichtiges Hilfsmittel für die Adaptierung neuer Technologien sein. Er gibt Aufschluss darüber, welches Level an Ressourcen und Investitionen die Implementierung von bestimmten Technologien beanspruchen würde und welche Risikobereitschaft sie fordern würden. Dem zugrunde liegt jedoch immer zuerst eine realistische Einschätzung der eigenen Ressourcen.
Investition, Risiko und Nutzen abwägen
Gerade am Rechtsmarkt, in Kanzleien und Rechtsabteilungen gleichermaßen, sollte die realistisch betrachtete Risikobereitschaft ein ausschlaggebender Faktor sein. Juristische Tätigkeiten bieten signifikant weniger Spielraum für experimentelle neue Prozesse als andere Disziplinen. Technologische Innovationen, deren Kinderkrankheiten weder abgelegt noch vollständig erfasst sind, können entsprechend wesentlich schwerere Konsequenzen mit sich bringen als in weniger regulierten Branchen und Tätigkeitsfeldern.Dies zeigte jüngst beispielsweise der Einsatz eines KI-gestützten Chatbots für eine kanadische Fluggesellschaft, welcher rechtlich bindende Tarife falsch wiedergab, oder der Fall eines Anwaltes, der von ChatGPT halluzinierte Gerichtsfälle vor Gericht anführte.
Gerade letzteres Beispiel zeigt auf eine weitere Stolperfalle hin. Nach eigener Aussage hatte besagter Anwalt mit den von ChatGPT gefälschten Gerichtsfällen keine Betrugsabsichten – er sei davon ausgegangen, dass die KI einer Suchmaschine gleiche und hätte Artikel über die vielen Vorteile von KI für professionelle Tätigkeiten gelesen.
Eine Herausforderung, der sich viele Rechtsabteilungen durchaus bewusst sind. Nach einer Studie von Gartner sind 65 % der Führungskräfte in Rechtsabteilungen besorgt um unzureichende Expertise ihrer Abteilungen im Umgang mit neuen Technologien. Denn den Mehrwert technologischer Innovationen auszuschöpfen, verlangt nicht nur das Interesse aller Beteiligten, sondern auch die entsprechende technische Expertise. Selbst frische Talente auf dem Rechtsmarkt wären diesbezüglich selten ausreichend geschult. Die erfolgreiche Implementierung innovativer Technologien erfordert somit nicht nur rein finanzielle Investitionen, sondern zusätzlich erhebliche Bemühungen, um Schulungsmaßnahmen einzuleiten und allgemeine Recruiting- und Personalentwicklungsstrategien neu auszurichten.
„Die Technologien im Tal der Enttäuschung zeigen ein breites Bild von Rechtsabteilungen, die – angespornt durch große Versprechungen von Anbietern – versuchen zu rennen, bevor sie gehen können, oder schlichtweg in die falsche Lösung für ihre Bedürfnisse investieren.“ So resümiert Zack Hutto, Direktor der Legal, Risk & Compliance Sparte bei Gartner.
Innovationspotenziale nachhaltig identifizieren
Ein realistischer Blick auf das Potenzial technologischer Innovationen, gerade in streng regulierten Branchen wie dem Rechtsmarkt, muss trotzdem nicht zwangsläufig in die generelle Ablehnung von allem „Neuen“ münden. Der Schlüssel liegt darin, die Bedürfnisse und Ressourcen der eigenen Organisation zu verstehen, unabhängig davon, ob es sich um eine Kanzlei oder um interne Rechtsabteilungen handelt. Tools wie der Hype Cycle können bei der Recherche nach interessanten Anwendungen dabei unterstützen zu verstehen, welche Technologien bereits gefestigt genug sind, um für die eigene Investitions- und Risikobereitschaft infrage zu kommen.
Am Ende des Tages ist der ausschlaggebende Faktor für erfolgreiches Innovationsmanagement nicht in neuen Tech-Applikationen auszumachen – sondern in den Menschen, die damit umgehen müssen. Laut eines Reports von Deloitte zum Umgang mit innovativen Lösungen im Rechtsmarkt sind es die betroffenen Mitarbeitenden, an denen Innovationsmanagement in Rechtsabteilungen zu 80 % scheitert. Wobei Juristen konträr zum konservativen Stereotyp nicht zwingend Innovationsscheu wären. Viel mehr werden Mitarbeitende generell im Innovationsmanagement zu spät oder gar nicht in Planung und Umsetzung mit einbezogen.
Es kommt also darauf an, bereits in der Planung alle Beteiligten mit einzubeziehen, wenn Abteilungen flexibler agieren und offener für neue Ideen und gemeinsame Entwicklungen werden sollen. Denn genau darin liegt die ursprüngliche Definition von Innovation – Offenheit gegenüber neuen Ideen. Die unkompliziertesten und effektivsten innovativen Ansätze kommen dabei nicht selten sogar direkt aus der eigenen Belegschaft. Denn genau die Personen, die täglich mit internen Prozessen arbeiten müssen, sind oft diejenigen, die für sich selbst Hilfsmittel, Workarounds oder alternative Lösungen entwickeln. Effektives Innovationsmanagement kann hier ansetzen und aus kleinen Prozessänderungen große Potenziale ziehen.
Was bedeutet das für das Innovationsmanagement in Rechtsabteilungen? In erster Linie, dass eine gewisse Vorsicht gegenüber brandneuen technologischen Lösungen nicht zwingend ein Zeichen für den eigenen Rückschritt ist, aber auch keine Einladung, sich auf dem Stand der Dinge auszuruhen. Vielmehr müssen Rechtsabteilungen und Kanzleien daran arbeiten, technische Expertise in ihren Teams langfristig zu fördern und mit nüchtern, aber weiterhin mit neugierigem Blick nach passenden Innovationen suchen. Dabei lohnt es sich explizit auch nach innovativen Lösungen zu suchen, die nicht der Tech-Branche entspringen. Denn innovative Konzepte müssen nicht zwingend mit Algorithmus im Lieferumfang kommen. Auch neue Geschäftsmodelle, Prozesse und Services können frischen Wind in stagnierenden Teams bringen.