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Juristen nach der Elternzeit: „Die Weichen neu stellen“

Wer aus der Elternzeit zurückkehrt, muss sein Leben neu justieren. Statt sich zwischen Fulltime-Job und Care-Arbeit aufzureiben, entscheiden sich immer mehr Juristen für die Arbeit als Projektjurist. Für manche ist diese Erfahrung lebensverändernd.  

 

Bevor Caroline Lang* Mutter wurde, holte sie sich oft noch abends um 21:30 Uhr im Büro den letzten Kaffee, „für die Nachtschicht“ nannte sie das damals. Die Juristin liebte ihren Job als Abteilungsleiterin in einem Unternehmen, sie arbeitete gern, viel und meist länger, als es in ihrem Arbeitsvertrag stand. „Für mich gehörten Überstunden fast zu meiner Stellenbeschreibung“, erinnert sie sich. 

 

Als sie aus der Elternzeit zurückkehrte, wollte sie 80 % arbeiten. Sie wollte alles geben, nur eben innerhalb von weniger Zeit. Doch im Unternehmen war ihre Abteilung zwischenzeitlich umstrukturiert worden, ihre Position gab es so nicht mehr, eine vergleichbare war nicht verfügbar. Sie stürzte sich in eine neue Aufgabe, obwohl diese ihrer Qualifikation nicht entsprach, machte einen Job, der sie intellektuell unterforderte. 

 

Und doch kam sie schnell an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Obwohl ihr Mann bei der Gestaltung seiner Arbeitszeiten freier war als sie und viel Care-Arbeit übernahm, rotierte das Paar ständig. Das Kind war öfter krank als erwartet, mit der Abwesenheit der Mutter kam es nicht gut klar, die Eingewöhnung in der Kita fiel ihr schwer. Jeder Morgen, jeder Abschied wurde zur Tortur. Caroline war schon müde, wenn sie im Büro ankam. Das Schlimmste aber war für sie, die High-Performerin, das Gefühl permanenter Unzulänglichkeit: „Wenn ich im Büro war, hatte ich das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. War ich daheim und kümmerte mich um meine Tochter, glaubte ich, meinen Job zu vernachlässigen“.

 

„Jede Krankheit des Kindes wird zur Herausforderung, die kaum zu managen ist“

„Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert“ heißt ein aktuelles Buch der Fachanwältin für Familienrecht Sandra Runge, das sich mit der Diskriminierung von Eltern im Job befasst. Runge und ihre Co-Autorin Karline Wenzel schildern Fallgeschichten von Betroffenen und wollen Lösungsansätze gegen die Diskriminierung von Eltern am Arbeitsplatz bieten, die in Deutschland weiterhin gang und gäbe zu sein scheint. „Kündigungen nach der Elternzeit, weniger Gehalt bei Wiedereinstieg, abwertende Bemerkungen bei Fehlzeiten aufgrund eines kranken Kindes – solche Fälle häufen sich laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes“, heißt es in der Einleitung zu dem Werk. Die beiden Frauen haben eine Initiative namens #proparents ins Leben gerufen, die sich dafür einsetzt, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen wird. 

 

Nun kündigen juristische Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen sicherlich nicht, wenn diese schwanger werden, schon weil sie es rechtlich besser wissen. Diskriminierungen gibt es auch im juristischen Arbeitsumfeld, sie sind aber sicherlich nicht der Regelfall. Die allermeisten Kanzleien und Unternehmen bemühen sich längst darum, auch für Eltern gangbare Strukturen zu schaffen. Doch für viele Juristen wird es auch ganz ohne Diskriminierung oder eine Veränderung von Strukturen schwierig, sich nach der Elternzeit nicht ständig wie zwischen Baum und Borke zu fühlen. Viele wirtschaftsrechtliche Tätigkeiten sind aus sich heraus schwierig zu bewältigen, wenn man gleichzeitig Kinder betreut.

 

Das gilt nicht nur für den Workload insgesamt, der gerade in Wirtschaftskanzleien, aber auch in großen Unternehmen häufig weit über übliche Arbeitszeiten hinausgeht. Es gibt auch erhebliche Unterschiede zwischen den Tätigkeitsgebieten: Wer als Arbeitsrechtlerin tätig ist, kann seinen Job zumindest in Teilen längerfristig planen. Wer aber Transaktionen abwickelt, für den sind 60 bis 70 Stunden pro Woche praktisch Normalität, internationale Calls mit ungeduldigen Mandaten in anderen Zeitzonen zu nachtschlafenden Zeiten inklusive. „Jede Krankheit des Kindes wird zur Herausforderung, die kaum zu managen ist“, sagt ein Managing Partner einer führenden Wirtschaftssozietät mit Sitz in Frankfurt, der sich an die ersten Monate und Jahre nach der Geburt seines Kindes nur ungern zurückerinnert. 

 

„Für mich war es lebensverändernd, flexibel und remote auf Projektbasis zu arbeiten“

Dr. Michael Zollner, heute Rechtsanwalt bei Pinsent Masons und Co-Head von VARIO Germany, wollte genau diese Situation vermeiden. Er und seine Frau hatten zwei Kinder im Alter von zwei und vier Jahren, als seine Frau ihr Lehramts-Referendariat begann. „Sie kam gerade aus der Elternzeit und saß dann häufig bis um Mitternacht am Schreibtisch“, erinnert er sich. „Es war die Situation, die alle Eltern kennen: Es geht ja nicht nur um Krankheiten oder sonstige unplanbare Aspekte, sondern darum, die Kinder schnell mal irgendwo hinzufahren, sie abzuholen, etwas einkaufen gehen zu können – wir brauchten schlicht mehr Flexibilität, als mein Anwaltsjob in Festanstellung und damals noch mit eingeschränkter Homeoffice-Möglichkeit mir bieten konnte.“ 

 

Er beschloss, sich gemeinsam mit einem Kollegen selbständig zu machen. Lange vor der Corona-Krise, die das Homeoffice auch in der Rechtsbranche salonfähig machte, arbeiteten die beiden überwiegend remote für Unternehmen, halfen aus, wo Not am Mann war, waren „als verlängerte Werkbank“ tätig. Die Anfragen dafür wurden zahlreicher und die Dinge fügten sich, als sie schließlich mit einem internationalen Anbieter von Projektjuristen kooperierten. 

 

„Lebensverändernd“ nennt er seinen damaligen Ausstieg in die Selbständigkeit und alles, was danach kam. Aus seiner eigenen Erfahrung heraus wirkte Zollner daran mit, das Modell Projektjurist auch in Deutschland zu etablieren. Aus seiner Sicht ist es gerade für Menschen, die aus der Elternzeit kommen, perfekt geeignet: „Die Elternzeit bietet Gelegenheit, einen gewissen Abstand zu gewinnen.“ Wer zwar formal angestellt, aber nicht ins tägliche Business eingebunden sei, frage sich häufig, wohin er oder sie eigentlich will. „Man muss andere Dinge unter einen Hut bekommen als zuvor, das Leben wird durch ein Kind ganz neu justiert, Prioritäten verschieben sich“. In dieser Situation mit etwas Abstand falle der Schritt, die Weichen für das eigene Leben noch einmal anders zu stellen, sehr viel leichter, als wenn man den Kopf vor lauter Arbeit nicht aus dem Wasser bekommt.

 

„Als Projektjurist muss man sich nicht ständig zwischen Baum und Borke aufreiben“

Heute freut Zollner sich darüber, dass mittlerweile zahlreiche Menschen nach der Elternzeit die Chancen nutzen, die das Modell Projektjurist ihnen bietet. Viele Projekte seien perfekt geeignet für junge Eltern, die nicht komplett aus dem Job aussteigen und dabei maximal flexibel sein wollten, sagt er. Viele Juristen, die aus der Elternzeit kommen, wählen laut Zollner Projekte aus, bei denen sie unterstützend arbeiten können, manchmal nur auf Zuruf, manchmal eingebunden in ein Team, in dem dann übernimmt, wer gerade Zeit hat. „Viele Projekte bieten die Möglichkeit, sich die Zeit frei einzuteilen und am Tag einige Stunden dann zu arbeiten, wenn es gerade in das eigene Leben passt“, erklärt Zollner.

 

Wer nicht darauf angewiesen ist, dass monatlich immer genau derselbe Betrag auf dem Konto eingeht, sondern übers Jahr verteilt gewisse Einkünfte erzielen will, ist bei VARIO genau richtig. Schließlich sind die meisten Projekte gerade nicht auf Dauer angelegt und viele der VARIOs, wie die Projektjuristen sich selbst liebevoll nennen, legen wochen- oder sogar monatelange Pausen zwischen Projekten ein. „Es ist sehr erleichternd für viele Kolleginnen und Kollegen mit kleinen Kindern, sich nicht ständig zwischen Baum und Borke aufzureiben und mindestens 40 Stunde pro Woche auch noch einem Arbeitgeber gerecht zu werden“, erklärt Zollner das Mindset der Juristen, die nach der Elternzeit als Projektjurist tätig werden. 

 

Die Tochter von Caroline Lang ist heute zwölf Jahre alt. Caroline arbeitet seit langem selbständig, mit viel Freiheit, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen und auch mal Raum für sich zu finden. Sie hat damals Jahre gebraucht, um nach der Geburt ihrer Tochter den Mut zu dieser Entscheidung zu finden. „Wenn ich damals schon auf dem Schirm gehabt hätte, dass man als Projektjuristin planbare Jobs ohne akuten Zeitdruck machen kann, wäre ich diesen Weg selbstverständlich gegangen“, sagt sie heute. „Projekte, die sich mit dem eigenen Leben vereinbaren lassen und womöglich mittelfristig noch die Chance bieten, sich nebenbei selbständig eine Existenz aufzubauen: Aus meiner Sicht die perfekte Rückkehr aus der Elternzeit.“  

 

*Name von der Redaktion geändert 

 

 

 

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